Das Labor im Rechner

Porträt Prof. Frank Ortmann – Theoretische Chemie

[28.09.2020] "„Und was machst Du so beruflich?“ Diese klassische Smalltalk-Frage stellt für manche Menschen eine echte Herausforderung dar. Was antwortet beispielsweise ein Professor für „Theoretische Methoden der Spektroskopie“? Frank Ortmann hat mehrere Varianten auf Lager, je nachdem, wie tiefgehend das Interesse ist. „Meine einfachste Antwort lautet: Ich sitze am Rechner und simuliere Prozesse im Bereich der Nanowissenschaften, zum Beispiel für Materialien aus der Photovoltaik. Dabei erforschen wir die Grundlagen. Das bedeutet, dass wir die Solarzellen-Effizienz nicht bis morgen um 1% steigern können“, erklärt der Wissenschaftler. „Aber vielleicht bis übermorgen um 2%“, fügt er lächelnd hinzu.

Der 39-Jährige Wissenschaftler kam im Juni 2020 von der TU Dresden an die Fakultät für Chemie der TU München und ist seitdem Mitglied bei e-conversion. Kein leichter Start mitten im Corona-Chaos: Wohnungssuche, der Aufbau der Arbeitsgruppe, Kollegen kennenlernen – alles gestaltete sich kompliziert. Dazu kam ein schwerwiegendes Problem speziell für seine Community. Im Mai hatten Hacker Hochleistungsrechenzentren in ganz Europa angegriffen und teilweise lahmgelegt. Und neben eigenen Rechnern sind diese Supercomputer das wichtigste Werkzeug für Theoretiker. Denn nur diese können besonders komplexe Simulationen rechnen, die oftmals sogar mehrere Tage dauern.

Elektronen - Enge Bindung oder lockeres Verhältnis?

Doch was genau simulieren Frank Ortmann und sein Team? Ein Hauptthema ist der Transport elektrischer Ladungen in organischen Halbleitern, aus denen organische Solarzellen oder OLEDs bestehen. Die Wissenschaftler möchten beispielsweise herausfinden, warum manche Halbleiter-Materialien die Elektronen relativ stark binden, während andere sie gut weiterleiten. Erste Ergebnisse zeigen, dass die Anziehungskraft auf die Ladungsträger davon abhängt, wie die Moleküle des Halbleitermaterials räumlich ausgerichtet sind. Und schon kleinste chemische Änderungen können ihre Anordnung verändern und somit den Ladungstransport deutlich verbessern. Ein anderes Projekt untersucht, wie das Einbringen von Fremdatomen und -molekülen in den Halbleiter, das sogenannte Dotieren, die Widerstände zum Beispiel an den Elektroden oder anderen Grenzflächen verringert. Denn an diesen Stellen geht in der Regel ein Großteil der Spannung verloren.

In fast allen Projekten arbeiten die Theoretiker eng mit den Experimentatoren zusammen und ersparen diesen oftmals unnötige Arbeit. Beispielsweise indem sie vorhersagen, ob sich ein neu herzustellendes Material für organische Solarzellen eignet oder ob dessen Synthese womöglich Zeitverlust wäre. Umgekehrt gibt es auch experimentelle Befunde, die theoretisch modelliert und dadurch verstanden werden.

Theoretische Chemie – Ein Fach mit großer Zukunft

Eine Vorliebe für die Theorie entwickelte Frank Ortmann bereits als Student. Sein Weg begann mit Physikstudium und Promotion an der Universität Jena. „Ich stand in den Praktika natürlich auch im Labor. Aber ich hatte dabei immer ein wenig den Eindruck im Trüben zu fischen,“ erinnert er sich. „Am theoretischen Arbeiten gefällt mir das systematische Vorgehen um Zusammenhängen auf den Grund zu gehen. Und ich habe das Gefühl, die Dinge steuern zu können.“ Früh orientierte Frank Ortmann sich über die Schwerpunkte Festkörper- und Oberflächenphysik in Richtung Theoretische Chemie. Nach PostDoc-Stationen in Grenoble und Barcelona baute er ab 2014 eine Emmy Noether Nachwuchsgruppe an der TU Dresden auf und war ab 2017 Gruppenleiter am dortigen Exzellenzcluster für Mikroelektronik.

Die Theoretische Chemie wird in Zukunft eine ganz zentrale Rolle spielen, ist sich Frank Ortmann sicher. Denn mit zunehmend schnelleren Rechnern und preiswerter Rechenzeit werden die Wissenschaftler ihre Simulationstechniken immer weiter verfeinern. Was zur Folge hat, dass die Rechenmodelle die experimentellen Techniken mehr und mehr ergänzen oder auch ersetzen können.

Doch ob und wie schnell es dazu kommt, hängt von einem ganz entscheidenden Faktor ab, erklärt Frank Ortmann: „Der Flaschenhals sind talentierte Doktoranden. Das Arbeiten in der Theorie ist sehr fokussiert und auch speziell. Einfach gesagt: Neben der nötigen Affinität zu Rechnern muss man es auch gut mit sich, einem Stift und einem Blatt Papier aushalten können.“ und fügt er hinzu: „Aber der Lohn der Forschungsanstrengungen ist ein tieferes Verständnis, das nur die Theorie liefern kann.“ Wem nach der Promotion der Sinn nach mehr Praxis steht, der hat auch außerhalb der Forschung beste Berufsaussichten. Frühere Weggefährten von Frank Ortmann arbeiten heute beispielsweise als Editor beim Wiley-Verlag, als Consultant, Patentanwalt, bei Infineon oder haben ihre eigene Firma gegründet. Die Mischung aus Herausforderungen in der Theorie, Themen im Bereich Energieforschung und besten Berufsaussichten klingt verlockend? Dann gerne melden! In der Gruppe von Frank Ortmann sind noch eine Reihe von Stellen zu vergeben…

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