R. A. C. Emil Erlenmeyer (1825 – 1909)

Wie Carl Stölzel war auch Emil Erlenmeyer ein Schüler von Justus von Liebig. Er wurde am 28. Juni 1825 in der Nähe von Wiesbaden geboren. Nach dem Abitur (1844) ging er zum Medizinstudium nach Gießen. Dort fesselten ihn die Vorlesungen Liebigs so sehr, dass er zur Chemie wechselte, obwohl es für ihn zunächst keinen Laborplatz gab. Nach einem kurzen Studienaufenthalt in Heidelberg erhielt er in Gießen seinen Laborplatz und bald später auch eine kleine Assistentenstelle. Sie gab aber so wenig her, dass er sich für das Pharmazeutische Staatsexamen entschied und im Jahre 1849 eine Apotheke in Katzenellenbogen erwarb. Dort hielt er es aber nur ein Jahr aus und ging dann zur Promotion zu Liebig nach Gießen. Daraufhin erwarb er wieder eine Apotheke, diesmal in Wiesbaden, die er Dank einer reichen Heirat immerhin bis 1855 halten konnte. Man nimmt an, dass er bis zu diesem Zeitraum nebenher eine chemische Fabrik betrieb, mit der er Schiffbruch erlitt. So entschloss sich Erlenmeyer zur Habilitation bei Robert Bunsen in Heidelberg. Die zur damaligen Zeit nicht unerheblichen Kosten für die Habilitation bestritt er durch Industrieberatung, im wesentlichen auf dem Gebiet der künstlichen Düngung, seinem Habilitationsthema. Es darf als gesichert gelten, dass Erlenmeyer ein ambitionierter, aber schlechter Geschäftsmann war: Mehrere Geschäftsgründungen mißlangen ihm.

Umso größer war seine wissenschaftliche Originalität. Es war Glück für Erlenmeyer, dass er auf mehreren Auslandsreisen auf Chemiker traf, die schon damals berühmt waren. Zu ihnen gehörte August Kekulé. Unter Erlenmeyers Studenten waren Markownikoff, Lissenkow, die Gebrüder Woikoff, Butlerow und Zinin. Aber auch Alexander Borodin (1834-1887) trifft man in Erlenmeyers Labor. Borodin war nicht nur Chemiker, er sollte auch ein berühmter Komponist werden (Hauptwerk „Fürst Igor“, neben einigen beachtenswerten Sinfonien). Zeitweise hatte Erlenmeyer ein Drittel russische Studenten unter seiner Hörerschaft. In Anerkennung hierfür wurde er später mit dem Sankt Anna-Orden der kaiserlich-russischen Regierung ausgezeichnet. Aber auch die nachmaligen Nobelpreisträger Eduard Buchner und Richard Willstätter, kurzfristig auch Hans Fischer, waren Praktikanten in Erlenmeyers Hochschullaboratorium.

Als Erlenmeyer die Münchner Professur übernahm, waren seine Vorlesungen wegen der modernen theoretischen Anschauungen sehr geschätzt. Die Studentenbevorzugten ihn deshalb gegenüber Liebig und Volhard, die beide an der Münchner Universität lehrten. Ein Nachteil bestand jedoch darin, dass die junge Kgl. Polytechnische Schule (ab 1877 „Technische Hochschule“) kein Promotionsrecht hatte. Dieses Privileg einer „echten Universität“ kam erst– lange nachdem Erlenmeyer im Jahre 1883 aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig emeritiert war- im Jahre 1901 unter Prinzregent Luitpold. Dazu schreibt das Gesetz- und Verordnungs-Blatt für das Königreich Bayern vom 22. Januar 1901 (Nr. 4/24508): „Wir finden uns bewogen, der Technischen Hochschule in München das Recht zu gewähren, die Würde eines Doktors und eines Ehrendoktors der Technischen Wissenschaften (für die Abtheilungen der Bau-Ingenieure, der Architekten, der Maschinen-Ingenieure und der Chemiker zugleich mit der Befugniß der Führung des Titels „Doktor-Ingenieur“ nach Maßgabe der von dem Staatsministerium des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten zu genehmigenden Promotionsordnung zu verleihen...“ (Luitpold, Prinz von Bayern, des Königsreichs Bayern Verweser). Erlenmeyer kämpfte also nachhaltig für die Gleichberechtigung der Technischen Hochschule mit der Universität, letztlich erfolgreich.

Ein Jahr nach der Emeritierung wurde Erlenmeyer zum Präsidenten der Deutschen Chemischen Gesellschaft gewählt. Er trat dann in die Firma seines Schülers Ludwig Belli in Frankfurt ein, einem beratenden Forschungslaboratorium der noch jungenchemischen Industrie. Hier wurde u. a. Auftragsforschung für die Farbwerke Cassella durchgeführt. Den siebzigsten Geburtstag am 28. Juni 1895 feierte Erlenmeyer im Kreise seiner Schüler, zu denen Leo Gans gehörte, der Mitbesitzer der Firma Cassella.

Die von Liebig mitbegründete „Bayerische Aktiengesellschaft für Chemische und Land-wirtschaftlich-chemische Produkte“ in Heufeld– die heutige Südchemie AG– hatte Erlenmeyer über viele Jahre als Berater, Aufsichtsratsmitglied und Aktionär. Sie ist die älteste deutsche Düngemittelfabrik.

Erlenmeyer starb am 22. Januar 1909 in Aschaffenburg im Alter von 84 Jahren. Einer seiner Söhne, F. G. C. Emil Erlenmeyer (1864– 1921) war Professor für Organische Chemie an der Universität Straßburg, der andere war Professor für Forstwissenschaft in Aschaffenburg.

Erlenmeyer starb am 22. Januar 1909 in Aschaffenburg im Alter von 84 Jahren. Einer seiner Söhne, F. G. C. Emil Erlenmeyer (1864– 1921) war Professor für Organische Chemie an der Universität Straßburg, der andere war Professor für Forstwissenschaft in Aschaffenburg.

Wenn man den Namen Erlenmeyer heute mit dem Erlenmeyerkolben verbindet (vgl.Abbildung), so erinnert man damit an den großen Praxisbezug des Münchner Laboratoriums. Erlenmeyer hat im übrigen auch das Asbestnetz erfunden sowie den Röhrenofen, der noch heute für klassische „Bombenrohrversuche“ in jedem guten Laboratorium steht. In Wahrheit aber lag Erlenmeyers Begabung in der chemischen Theorie. So prägte er den Begriff der „Wertigkeit“. Während Kekulé - ganz zum Nachteil seiner ansonsten genialen Bindungstheorie - glaubte, dass jedes Element nur eine einzige Wertigkeitsstufe habe, vertrat Erlenmeyer zusammen mit Butlerow die Theorieder variablen Valenzen. Als Herausgeber wichtiger Chemiezeitschriften (u. a. „Zeitschrift für Chemie, Pharmacie und Mathematik“ sowie „Zeitschrift für Chemie und Pharmacie“) beeinflusste er nachhaltig die Entwicklung der chemischen Bindungstheorien. Er hat u. a. die Konstitution von Anethol und Eugenol, von Naphthalin, Guanidin, Kreatin und Kreatinin aufgeklärt. Er hat auch den Begriff des Äquivalents eingeführt und den Atom- und Molekülbegriff präzisiert. Von ihm kommt erstmals die Forderung nach Mehrfachbindungen zwischen Kohlenstoffatomen (1862), vermutlich der größte strukturtheoretische Wurf seiner Zeit: „Daß im Äthan C2H6 zweimal eine, im Äthylen zweimal zwei und im Acethylen zweimal drei Affinitäten des Kohlenstoffs miteinander verbunden sind“ – so entstehen die Formeln der wichtigsten C2-Verbindungen. Auch wenn andere vor ihm Doppelbindungen verwendet haben, so hat Erlenmeyer das Prinzip der Mehrfachbindung erkannt. Kekulés berühmte Benzolformel hätte ohne Erlenmeyer nicht geträumt werden können.

Auf Erlenmeyer geht auch eine Namensreaktion zurück: Die Erlenmeyer-(Azlacton-)Synthese ist eine Variante der Perkin-Reaktion, bei der N-Acylglycine in Gegenwart von Acetanhydrid und Natriumacetat zunächst zu Oxazolinen cyclisieren. Diese werden anschließend mit aromatioschen Aldehyden zu Azlactonen (4-Methylen-4H-oxazol-5-onen) kondensiert.

Emil Erlenmeyer wurde zu seinem achtzigsten Geburtstag der erste Ehrendoktor der Fakultät für Allgemeine Wissenschaften seiner Hochschule: „Dem hervorragenden Förderer der Chemie, dem gründlichen und erfolgreichen Forscher, der als anregender Lehrer und Organisator viele Jahre eine Zierde der Hochschule war.“